Bis 2015 leitete Prof. Dr. Markus Masin am Universitätsklinikum Münster (UKM) die Arbeitsgruppe an der Diabetologie, die sich mit der Entwicklung nachhaltiger Ernährungskonzepte befasste – mit dem Ziel, gesundheitliche Prävention und ökologische Verantwortung zu vereinen. Die damaligen Forschungsergebnisse zeigten bereits: Eine überwiegend pflanzliche, regionale und saisonale Ernährung kann das Risiko für chronische Erkrankungen wie Diabetes oder Herz-Kreislauf-Leiden deutlich senken und zugleich den ökologischen Fußabdruck reduzieren. Diese wissenschaftliche Arbeit wird heute über Prof. Masins eigenes Institut in Riga konsequent weitergeführt und international fortentwickelt.
Der doppelte Nutzen nachhaltiger Ernährungskonzepte
Unsere Ernährung steht im Spannungsfeld zweier großer globaler Herausforderungen: Einerseits nehmen ernährungsbedingte Erkrankungen wie Adipositas, Diabetes und Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu, andererseits trägt das gegenwärtige Ernährungssystem mit etwa 25–30 % erheblich zu den globalen Treibhausgasemissionen bei und belastet Böden, Gewässer und Biodiversität.
„Die große Herausforderung der modernen Ernährungsmedizin besteht darin, Konzepte zu entwickeln, die sowohl gesundheitlich wirksam als auch ökologisch verträglich sind“, erklärt der Ernährungsmediziner in seinen Vorträgen. „Diese dualen Ziele müssen nicht im Widerspruch stehen – im Gegenteil, oft ergänzen sie sich synergistisch.“
Die wissenschaftliche Evidenz für diese Synergie hat in den letzten Jahren deutlich zugenommen. Systematische Reviews und prospektive Kohortenstudien zeigen, dass Ernährungsmuster mit hohem Gesundheitswert oft auch eine günstige Ökobilanz aufweisen. Besonders deutlich wird dies am Beispiel pflanzlich orientierter Ernährungsformen wie der mediterranen Diät, die sowohl mit einem reduzierten Risiko für chronische Erkrankungen als auch mit einem geringeren ökologischen Fußabdruck assoziiert sind.
Gleichzeitig bedarf es einer differenzierten Betrachtung, da nicht jede gesundheitsfördernde Ernährungsform automatisch umweltfreundlich ist – und umgekehrt. Avocados mögen gesundheitlich wertvoll sein, können aber durch lange Transportwege und intensiven Wasserverbrauch ökologisch problematisch sein. Hier braucht es ausgewogene Konzepte, die beide Dimensionen berücksichtigen.
Vom Carbon Footprint zum Nutritional Handprint: Messkriterien von Dr. Masin
Um die duale Wirksamkeit nachhaltiger Ernährungskonzepte zu bewerten, hat der Ernährungswissenschaftler ein multidimensionales Bewertungssystem entwickelt, das sowohl gesundheitliche als auch ökologische Parameter umfasst.
„Wir müssen über eindimensionale Bewertungen wie den Carbon Footprint hinausgehen“, betont der Experte. „Eine wirklich nachhaltige Ernährung definiert sich über multiple Gesundheits- und Umweltparameter, die in ihrer Gesamtheit betrachtet werden müssen.“
Das integrative Bewertungssystem berücksichtigt folgende Dimensionen:
- Gesundheitliche Wirkung: Evidenzbasierte Effekte auf Stoffwechselparameter, Entzündungsmarker und klinische Endpunkte
- Ökologischer Fußabdruck: Treibhausgasemissionen, Landnutzung, Wasserverbrauch und Biodiversitätseffekte
- Sozioökonomische Faktoren: Zugänglichkeit, Bezahlbarkeit und kulturelle Akzeptanz
- Langfristige Nachhaltigkeit: Praktikabilität und Adhärenz im Alltag
Dieses multidimensionale Konzept ermöglicht eine differenziertere Bewertung verschiedener Ernährungsformen jenseits vereinfachender „gut oder schlecht“ Kategorisierungen.
Planetary Health Diet – evidenzbasierte Umsetzung in der klinischen Praxis
Eine besondere Aufmerksamkeit widmet Markus Masin der praktischen Implementierung der „Planetary Health Diet“ – einem Ernährungskonzept, das von der EAT-Lancet Commission entwickelt wurde und darauf abzielt, die Gesundheit von Mensch und Planet gleichermaßen zu fördern.
„Die Planetary Health Diet bietet einen wissenschaftlich fundierten Rahmen für eine nachhaltige Ernährung“, erklärt der Mediziner. „Unsere Aufgabe ist es, dieses Konzept in den klinischen Alltag zu übersetzen und an individuelle Bedürfnisse anzupassen.“
In seiner Forschungsarbeit hat Prof. Dr. Masin spezifische Adaptationen für verschiedene Patientengruppen entwickelt:
- Anpassungen für Diabetespatienten mit optimierter Kohlenhydratqualität und -quantität
- Modifikationen für Patienten mit Niereninsuffizienz unter Berücksichtigung der Proteinrestriktion
- Varianten für Patienten mit Nahrungsmittelunverträglichkeiten
Die klinischen Erfahrungen zeigen, dass diese adaptierten Konzepte nicht nur metabolische Parameter verbessern, sondern auch von den Patienten gut angenommen werden und im Alltag praktikabel sind.
Regionale Umsetzung globaler Konzepte – der Münsteraner Ansatz
Ein innovativer Forschungsschwerpunkt von Dr. Masin liegt in der regionalen Adaptation globaler Nachhaltigkeitskonzepte. Dabei geht es um die Frage, wie globale Ernährungsempfehlungen unter Berücksichtigung lokaler Gegebenheiten, saisonaler Verfügbarkeit und regionaler Ernährungstraditionen umgesetzt werden können.
„Nachhaltige Ernährung kann nicht als universelles Konzept funktionieren“, betont der Experte. „Sie muss die regionalen Besonderheiten des Ernährungssystems, die kulturellen Präferenzen und die lokale Lebensmittelproduktion berücksichtigen.“
Im Rahmen einer Forschungskooperation wurden spezifische Anpassungen der Planetary Health Diet für den nordwestdeutschen Raum entwickelt, die auf lokalen Nahrungsmitteln basieren und gleichzeitig die ökologischen und gesundheitlichen Ziele erfüllen. Dabei werden traditionelle Komponenten der regionalen Küche wie Hülsenfrüchte, Kohl und heimische Getreidesorten neu interpretiert und in moderne, gesundheitsfördernde Ernährungskonzepte integriert.
Die Praxis nachhaltiger Ernährung: Von der Theorie zum Alltag
Die Translation wissenschaftlicher Erkenntnisse in praktikable Alltagskonzepte stellt eine besondere Herausforderung dar. Prof. Dr. Markus Masin hat hierfür praxisorientierte Ansätze entwickelt, die die Umsetzung nachhaltiger Ernährungsformen erleichtern. „Selbst das wissenschaftlich fundierteste Konzept bleibt wirkungslos, wenn es im Alltag nicht praktikabel ist“, erklärt der Ernährungsexperte. „Unsere Aufgabe ist es, Brücken zu bauen zwischen wissenschaftlicher Evidenz und alltäglicher Umsetzbarkeit.“
Von der Küche zum Klima – praktische Umsetzungsstrategien
Ein Schlüsselelement des Ansatzes von Markus Masin ist die Entwicklung alltagstauglicher Strategien, die nachhaltiges Essverhalten fördern. Diese umfassen:
- Saisonkalender mit regionalen Alternativen zu importierten Lebensmitteln
- Rezepte, die traditionelle Gerichte nachhaltig adaptieren
- Praktische Tipps zur Reduktion von Lebensmittelabfällen
- Strategien zur klimafreundlichen Speisenzubereitung
„Nachhaltige Ernährung bedeutet nicht Verzicht, sondern intelligente Auswahl und kreative Zubereitung“, betont der Mediziner. „Oft sind es kleine Anpassungen in der täglichen Routine, die in Summe große Wirkung entfalten.“
Besonders innovativ ist der von ihm entwickelte „Nachhaltigkeit-Score“ für Rezepte, der sowohl den ökologischen Fußabdruck als auch den gesundheitlichen Wert transparent macht und so informierte Entscheidungen ermöglicht.
Digitale Unterstützungssysteme für nachhaltige Ernährungswahl
Die Digitalisierung bietet neue Möglichkeiten, nachhaltige Ernährungsentscheidungen im Alltag zu unterstützen. Prof. Dr. Masin entwickelt und evaluiert digitale Tools, die Verbrauchern dabei helfen, gesundheitliche und ökologische Aspekte bei der Lebensmittelauswahl zu berücksichtigen.
Diese Tools kombinieren verschiedene Funktionalitäten:
- Echtzeit-Feedback zur Nachhaltigkeitsbilanz von Lebensmittelkäufen
- Personalisierte Empfehlungen basierend auf individuellen Gesundheitszielen und Präferenzen
- Informationen zu saisonaler Verfügbarkeit und regionalen Alternativen
- Gamification-Elemente zur Förderung nachhaltiger Ernährungsmuster
„Digitale Anwendungen können die Komplexität nachhaltiger Ernährungsentscheidungen handhabbar machen“, erklärt Prof. Dr. Markus Masin. „Sie übersetzen wissenschaftliche Erkenntnisse in praktische Handlungsempfehlungen, die im Moment der Entscheidung verfügbar sind.“
Die ersten Evaluationsstudien zeigen vielversprechende Ergebnisse: Nutzer dieser digitalen Unterstützungssysteme treffen nachweislich häufiger Entscheidungen, die sowohl gesundheitlich als auch ökologisch vorteilhaft sind.
Zukunftsperspektiven: Die Integration von Gesundheit, Ökologie und Genuss
Die Entwicklung nachhaltiger Ernährungskonzepte steht noch am Anfang. In zukünftigen Forschungsprojekten plant der Ernährungsmediziner, die Synergien zwischen gesundheitlichen und ökologischen Aspekten weiterzuerforschen und evidenzbasierte Implementierungsstrategien zu entwickeln.
Ein besonderer Fokus liegt dabei auf der Integration von Genussaspekten, denn nur eine Ernährung, die auch schmeckt und Freude bereitet, wird langfristig angenommen. „Nachhaltigkeit, Gesundheit und Genuss bilden ein Dreieck, in dem alle Seiten gleichermaßen berücksichtigt werden müssen“, betont der Wissenschaftler.
Die Vision ist eine Ernährungskultur, die planetare Grenzen respektiert, individuelle Gesundheit fördert und gleichzeitig kulinarischen Genuss bietet. Mit diesem integrativen Ansatz leistet die Ernährungsmedizin einen wichtigen Beitrag zur Bewältigung globaler Herausforderungen und zur Förderung einer nachhaltigen Entwicklung.
„Die Ernährung der Zukunft wird nicht durch Verzicht, sondern durch intelligente Integration von Gesundheits- und Nachhaltigkeitszielen geprägt sein“, fasst Dr. Masin seine Vision zusammen. „Sie wird neue Geschmackserlebnisse bieten und gleichzeitig einen Beitrag zum Schutz unserer Gesundheit und unseres Planeten leisten.“
Diese Vision verfolgt Prof. Dr. Masin heute über verschiedene Wege weiter. Nach seiner Tätigkeit am Universitätsklinikum Münster widmet er sich nun über seine Stiftung www.dsgme.org der strukturierten Unterstützung von Patienten, bietet in seiner ambulanten Praxis spezialisierte Konsile und Behandlungen an und treibt seine wissenschaftliche Arbeit am Institut in Riga (www.minst.lv) voran. So verbindet er weiterhin die Grundlagenforschung mit der praktischen Anwendung nachhaltiger Ernährungskonzepte.

Politische Maßnahmen zur Bekämpfung von Mangelernährung: Analysen von Prof. Dr. Markus Masin
Wie gesellschaftliche und politische Interventionen Mangelernährung effektiv reduzieren können – Dr. Masin analysiert evidenzbasierte Strategien von Nährstoffanreicherung bis zu Bildungsprogrammen.…

Zukunft der medizinischen Ernährungstherapie: Transformation durch Markus Masin
Wie sich die Ernährungstherapie durch Präzisionsmedizin, digitale Tools und neue Biomarker revolutioniert – Dr. Masin gibt Einblicke in die nächste…